Manfred Naescher

Autor 

Bio-bibliografische Angaben

Manfred Naescher, geboren 1973, lebt in Berlin. Neben der bildenden Kunst (Aquarell-Zeichnung, Collage, Objekt, Video) betätigt er sich als freier Dozent, Designer und Autor. Kunst und Literatur überschneiden sich in seinen Werken in Künstlerbüchern und diversen Editionen. Zu seinen Veröffentlichungen gehören ›Nitroglyzerin und Chloroform‹ (2015 als begleitendes Künstlerbuch zur Ausstellung ›Bilder und Objekte für Peter Kaiser‹ erschienen) und die Portfolio-Edition ›Ferdinand Nigg mit den Tieren‹ (2015). Seit 2016 publiziert Naescher die Subskriptions-Edition ›Collected Works‹. Sein Band ›Der geheime Kinosaal der Bibliothek von Alexandria (und andere Bilder)‹ mit Prosagedichten und Reproduktionen von Aquarellen erschien 2020. Die Edition ›Still‹ (2014) ist in der Artist Book Collection des MoMA in New York, und er ist seit 2019 Mitglied des P.E.N.-Clubs Liechtenstein.

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Werke (Auswahl)

Der geheime Kinosaal der Bibliothek von Alexandria (und andere Bilder)

Der geheime Kinosaal der Bibliothek von Alexandria (und andere Bilder)‹ ist ein Buch über das Bildermachen (und auch selbst ein Bild). Die darin enthaltenen Prosagedichte stehen Reproduktionen von Aquarellen gegenüber, die eigens für das Buch entstanden sind.

Das Buch erzählt vom Erinnern, und damit auch vom Tod und vom Zuhause, vom Sehen und von Projektionen, vom Versuch, Fragmente zusammenzusetzen, um daraus Bilder zu machen. Es geht um Verbindungen (wie im filmischen Erzählen) und wie diese Verbindungen durch Imagination und Sprache ermöglicht werden: Sternbilder beginnen dann zu existieren, wenn ihre Geschichte erzählt wird.

›Der geheime Kinosaal der Bibliothek von Alexandria (und andere Bilder)‹ erscheint als Künstlerbuch in einer Erstauflage von 100 Unikaten: Jeder Buchumschlag zeigt eine eigene originale Zeichnung und so ist jedes Buch auch ein Bild.

Ferdinand Nigg mit den Tieren

Unter dem Titel ›Ferdinand Nigg mit den Tieren‹ ist eine Edition von sieben Unikaten und drei Artist Proofs erschienen, alles in Form einer leinenbezogenen Kassette mit Loseblattsammlung. Der Inhalt besteht aus 35 Blättern mit Abbildungen der Aquarell-Serien ›Ferdinand Nigg‹ und ›Mit den Tieren‹ (beide 2015) von Manfred Naescher sowie dem Essay ›Ferdinand Nigg: Das bewegte Bild‹ (2015) von Manfred Naescher (ursprünglich verfasst für die Monografie ›Ferdinand Nigg (1864–1949). Gestickte Moderne‹, hrsg. Christiane Meyer-Stoll, Kunstmuseum Liechtenstein, Walther König, 2015) und weiteren Materialien. Jeder Umschlag der zehn Exemplare verfügt über eine originale Stickerei, direkt ausgeführt auf dem Leinenbezug von der Textilkünstlerin Amanda Fowler. Konstruktion der Kassette von der Buchbinderin Leah Buckareff. Fotografie von Pedro Malacas, Druck von Colorama (Risografie) und Heenemann (HP Indigo Digitaldruck).

Nitroglyzerin und Chloroform

›Nitroglyzerin und Chloroform‹ ist ein 108-seitiges Künstlerbuch mit Abbildungen von 64 Arbeiten sowie einer 16-seitigen Textbeilage. Das Werk ist erschienen in einer limitierten Edition von 40 nummerierten und signierten Exemplaren zur Ausstellung ›Bilder und Objekte für Peter Kaiser‹ 2015 im Kulturhaus Rössle in Mauren, Liechtenstein.

10 Fragen

Hast Du eine bestimmte Autorin, einen bestimmten Autor als Vorbild?

Die Idee des Vorbilds scheint mir eher einengend als inspirierend. Aber ich finde verschiedene Bücher aus verschiedenen Gründen interessant. Hier, assoziativ, ein paar Beispiele meiner Lektüre der letzten Jahre:

In ›La petite Borde‹ erzählt Emmanuelle Guattari in kurzen autobiografischen Vignetten vom Aufwachsen in einer psychiatrischen Klinik, als Tochter von einem der beiden Leiter (was umso interessanter ist, da es sich hier um den bekannten Psychoanalytiker und Philosophen Félix Guattari handelt, der aber im Buch so gut wie gar nicht vorkommt). Die Erzählstimme ist wunderbar warm und leicht.

Ein tolles Gegenteil davon ist ›Blood Meridian‹ von Cormac McCarthy, das in einer archaischen Kunstsprache voller Pathos und Brutalität die Besiedlungsgeschichte von Nordamerika imaginiert.

Eine ganz andere Härte: die DDR in den 1980er-Jahren, in denen die Gedichte in ›Kastanienallee‹ von Elke Erb entstanden sind. Die Gedichte in diesem Buch nehmen weniger Platz ein als die im besten Sinne ausufernden eigenen Kommentare dazu. Gleich das erste Gedicht besteht aus nur drei Zeilen, gefolgt von sechs Seiten Anmerkungen. Aus einigen Gründen ein fantastisches Buch.

›Der kurze Sommer der Anarchie‹ von Hans Magnus Enzensberger benutzt eine verwandte Strategie: Die narrative Collage des Romans wird immer wieder von Glossen unterbrochen, die historischen Kontext liefern zur multiperspektivischen (und widersprüchlichen) Biografie von Buenaventura Durruti, dem legendären spanischen Anarchistenführer. Die O-Töne der interviewten Wegbegleiter Durrutis sind wie verwackelte Bilder, die Glossen dagegen wie mit dem Stativ fotografiert, und alles zusammen wird trotz der Nähe zum Subjekt und all dem faktischem Material zum Beleg dafür, dass jede Biografie eigentlich ein Roman ist. Mein Lieblingsbuch von Enzensberger.

Für meine Arbeit am Künstlerbuch gibt es eher Vorbilder, vor allem was das Formale betrifft, zum Beispiel bei den Künstlerbüchern von Jean Dubuffet, Max Ernst oder Ed Ruscha, oder bei den druckgrafischen Mappenwerken des frühen 20. Jahrhunderts. Und immer wieder aufs Neue inspirierend finde ich die unzähligen mehr oder weniger handgemachten Publikationen in Kleinstauflagen für ein jeweils absolutes Nischenpublikum. Ein Beispiel dafür wären etwa die frühen Fanzines der Punk-Subkultur der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre, als mit dem Aufkommen des Fotokopierers Amateure mit Ambitionen sich eigene Möglichkeiten schaffen konnten, um Inhalte zirkulieren zu lassen. Ich selbst verfolge ja mit meinen Künstlerpublikationen ein ähnliches Produktions- und Vertriebs-Modell. Die Mittel sind einfach, die Wege kurz (zur nächsten Post), das Publikum – den Kleinstauflagen entsprechend – zwar auch kleinst, die Streuung gering, die Reichweite und Sichtbarkeit aber dennoch hoch, wenn man sich damit begnügen kann, nur einige wenige wertschätzende Rezipient*innen zu erreichen. Aber vor allem ist das Künstlerbuch weiterhin ein großes, offenes Experimentierfeld.

Wie verläuft Dein Schreibprozess?

Das ist ganz unterschiedlich. Was immer gleich ist: Mein Schreiben (wie auch mein Bildermachen) hängt von existierendem Material ab. Ideen, Geschichten und Bilder, die im medialen Strom an mich herangespült werden oder beim Vorbeifließen meine Aufmerksamkeit wecken, können zu meinem Material werden. Ich stelle meine Arbeit meist in den Dienst der Reflexion bestehender geistiger oder künstlerischer Arbeit.

Konkret: Am Anfang steht meist ein Fundstück, dann folgt die Recherche. Die Form ergibt sich aus dem Material, da bin ich beim Schreiben der bildenden Kunst nahe (die selbst Teil meiner Arbeit ist), und als Werkzeug dient mir dazu oft das Design. Einen meiner Essays zum Beispiel setzte ich in zwei Spalten, eine breite für den eigentlichen Text, und eine schmale rechts davon für die Fußnoten, die den Text von oben nach unten begleiteten und die selbst einen kurzen, fragmentarischen Text bildeten, parallel zum Haupttext. Oder: Eine Textcollage, die Wasser zum Thema hatte, erschien als 84 cm breiter Leporello mit vier Seiten, die alle nebeneinander standen (statt hintereinander), um die Idee des Fließens in der Form zu reflektieren.

Allgemein ist es bei mir so, dass ich versuche, die Form beim Erarbeiten des Inhalts bereits mitzudenken. Das Publikationsformat ist dann oft näher an der künstlerischen Edition als am konventionellen Buch oder Heft.

Wann ich schreibe: zu normalen Bürozeiten, am liebsten vormittags. Oft mache ich abends oder unterwegs kurze Notizen. Ich schreibe im Atelier oder zu Hause. Wie viel ich schreibe, hängt von meinem Wochenplan ab, weil ich ja noch andere Dinge mache (bildende Kunst, Design, Unterricht). Ich arbeite aber am besten in zusammenhängenden Blocks. Schreibblockaden kenne ich bisher nicht, mein Problem ist es eher, zu wenig Zeit zu haben.

Welches ist Dein Lieblingsbuch?

Ich mag die Vielfalt, und meine Bezugspunkte verschieben sich, meine Interessen erweitern sich (hoffe ich zumindest). Aber um einzelne Bücher zu nennen: Vielleicht das kleine Insel-Taschenbuch 640 mit den ›Italienischen Skizzen‹ von Carl Blechen. Oder Alexander Kluges Drehbuch zu ›Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit‹. Oder die überlieferten Texte von Kallimachos, oder das Hitchcock-Buch von Truffaut. Oder ›Unlucky with Pets‹ von Kelly Froh.

Es sind bei mir immer wieder neue und alte Bücher, die sich in den Vordergrund schieben, aktuell gerade ›Artemisia‹ von Anna Banti (mit einem bemerkenswerten, geradezu exemplarischen Vorwort von Susan Sontag).

Mir würden noch einige Bücher einfallen, zu viele, und meine Antwort auf so eine Frage kann eben ohnehin nur eine Momentaufnahme sein, also vielleicht sollte ich das Ganze einfach mit »keines« beantworten.  :-)

Oder mit ›I Remember‹ von Joe Brainard. Oder mit den Tagebüchern von Marie Bashkirtseff. Oder auch mit neueren Büchern wie ›Verzeichnis einiger Verluste‹ von Judith Schalansky oder mit dem eben angefangenen ›Adas Raum‹ von Sharon Dodua Otoo.

Welches ist Deine liebste literarische Figur?

Der kleine Nick (Le petit Nicolas) von Goscinny und Sempé. Ich lese das meinen Kindern vor, und es gibt nichts, das uns mehr zum Lachen bringt.

Hast Du eine ganz bestimmte Lieblingsstelle in einem Buch?

Es gibt immer wieder einzelne Sätze, Passagen, oder Romananfänge, die mich besonders beeindrucken, meist einfach, weil sie unerwartet sind – unerwartet passend. Eine spezifische Lieblingsstelle habe ich allerdings nicht.

Wie sehen Deine Schreibpläne für die Zukunft aus?

Konzentriert weitermachen.

Nach welchen Kriterien wählst Du Deine Geschichten aus?

Es sind Subjekte oder Motive oder Themen, die mich meist schon länger beschäftigen, über die ich durch das Schreiben mehr erfahren möchte. Das Material ist in jedem Fall schon da. Ich schreibe für mich, möchte aber schon auch (wünsche mir!), dass andere Leser*innen ebenfalls etwas von meinem Schreiben haben. Es steckt der Wunsch nach Kommunikation, nach Teilen, nach Dialog in allem, was ich mache.

Kennst Du Deine Charaktere in- und auswendig?

Ich lerne immer wieder Neues beim Schreiben, insofern nein. Das ist ein Teil des Schreibens, den ich sehr zu schätzen weiß: dasjenige, das man entdeckt, während man schreibt. Wie man sich selbst überraschen kann.

Wer sind Deine ersten Probeleser?

Eigentlich ich selbst, nach Schreibpausen.

Gibt es Genres oder Textgattungen, an die Du Dich nicht heranwagst oder die Dich nicht interessieren?

Nein, ich glaube nicht. Ich finde ja sogar Science-Fiction gut (zum Beispiel Octavia Butler).

Urheberrechtsnachweis:

Texte und Bilddateien: ZVG Manfred Naescher

Autorenporträt oben: © Flo Maak